Als Orga-Gruppe der A-Tage haben wir zur Beteiligung am sogenannten „antiautoritären Block“ bei der Demonstration mit Startpunkt am Südplatz 15:30 Uhr aufgerufen. Diese Demo folgt indirekt jener mit unter dem Motto „Rot ist der Mai“ nach, welche im letzten Jahr vom gleichen Ort startete. Daher gilt es hierzu einige Anmerkungen zu machen:
Der erste Mai ist als Kampftag der Arbeiter*innenklasse bis heute ein Symbol für die Kämpfe gegen Unterdrückung und Ausbeutung der Menschen. Ursprünglich ging er aus Auseinandersetzungen hervor, in denen Anarchist*innen stark beteiligt waren. Später wurde er von Sozialdemokrat*innen zum Bratwurstfest umgewidmet und von Kommunist*innen fetischisiert. Für Anarchist*innen ist es wichtig, sich den Themen Kapitalismuskritik, Kampf gegen die Lohnarbeit und unregulierte Ausbeutung zu widmen, weil sie ebenso wie der Staat, das Patriarchat, die weiße Vorherrschaft und die Naturbeherrschung ein grundlegendes Herrschaftsverhältnis darstellen.
Deswegen soll eine Demo zum ersten Mai das große Anliegen, die starke Sehnsucht nach grundlegender Gesellschaftsveränderung in sich haben – statt nur ein folkloristischer Umzug zu sein.
Der Kampf gegen die Lohnarbeit ist insofern graduell zu denken, weil ein Bruch mit dem ökonomischen Herrschaftsverhältnis, der Profitmaximierung, dem Geld- und Lohnarbeitsverhältnis, zur Voraussetzung hat, dass Menschen sich überhaupt organisieren, bilden und handeln können. Dafür braucht es Zeit zur freien Verfügung und selbstorganisierte Strukturen. Ein Bruch mit dem Kapitalismus verlangt weiterhin sozialistische Wirtschaftsformen zumindest in Ansätzen aufzubauen, um überhaupt auf andere Formen zurückgreifen zu können, wenn die Bestehenden in sich zusammenbrechen und überwunden werden.
Weil die damit verbundenen Kämpfe, wenn sie sozial-revolutionär gedacht werden, potenziell für die meisten Menschen von Belang sind, haben wir ein klares Problem mit kommunistischen Gruppen, welche wir zurecht als autoritär bezeichnen. Der Zulauf, welchen autoritäre kommunistische Gruppen in Leipzig in den letzten Jahren erhalten haben, erschreckt uns. Wir wissen, dass sie mit ihren vermeintlich klaren Antworten und scheinbar überzeugenden Strategien einen Zeitgeist treffen, in welchem Orientierungslosigkeit und Verunsicherung stark ausgeprägt sind.
So wurde im April 2022 etwa die sogenannte „Föderation klassenkämpferischer Organisationen“ gegründet, um den Anschein zu erwecken, hierbei handele es sich um einen Zusammenschluss unterschiedlicher und dezentraler Organisationen auf Augenhöhe. Dies ist aber nicht der Fall, gehen sie doch sehr klar aus dem selben Sumpf hervor. Solche taktischen Verhaltensweisen beobachten wir immer wieder, wo bestimmte kommunistische Kader versuchen ihre Ansätze in einer emanzipatorischen Linken (im weiteren Sinne) zu etablieren.
Dies führt soweit, dass offen stalinistische Gruppen wie die „Kommunistische Organisation“ oder die „FDJ“ über Jahre hinweg davon schwafeln, dass die DDR der „bessere Staat“ gewesen wäre, ebenso, wie sie eine hochgradig problematische Solidarität mit Russland pflegen und dabei den Charakter des russischen Regimes völlig verkennen. Dass mit diesem autoritären Geist ausgeprägtes Macker-Verhalten, Transfeindlichkeit und Diskriminierung von Sexarbeit einhergehen, überrascht dementsprechend nicht. Aus den selben Gründen lehnen wir die anachronistische und idealistische Ideologie von Gruppen wie dem „Kommunistischen Aufbau“ ab. Auch andere Gruppen ließen sich hier noch aufzählen.
Ein weiterer Faktor für das Erstarken autoritärer Tendenzen, als auch für verkürzte liberale Kritiken auf der anderen Seite, sehen wir auch in unserer eigenen Schwäche als Anarchist*innen. Hierbei geht es nicht lediglich um jene Gruppen und Zusammenhänge, welche sich explizit so bezeichnen oder auf welche dies offensichtlich zutrifft. Darüber hinaus betrifft es die Weise, wie emanzipatorische und rebellische Strömungen sich überhaupt Gesellschaftsveränderung vorstellen, sich organisieren, auf welches Geschichtsverständnis sie zurückgreifen und wie sie sich auf andere Strömungen und Gruppen beziehen.
Als Anarchist*innen lehnen wir die politische Revolution, die Übernahme der Staatsmacht, klar ab. Es ist ein Trugschluss, dass Staaten als neutrale Instrumente genutzt werden könnten. Wir glauben auch nicht, dass sich die Gesellschaft quasi von selbst zum positiven entwickelt. Es ist erforderlich, dass wir die gesellschaftliche Entwicklung in eine emanzipatorische Richtung lenken. Wir setzen vielmehr auf soziale Bewegungen, die aber nicht nur Reformen bewirken sollen, sondern auf selbstorganisierte und autonome Weise reale Utopien schaffen können.
Wir denken, dass die besten Organisationen auf den Prinzipien von Dezentralität, Autonomie, Föderalismus und Freiwilligkeit beruhen sollten. Dies gilt gleichermaßen für eine Gesellschaftsform, die wir anstreben, wie für soziale Bewegungen, welche sie erkämpfen wollen – und sie damit bereits verkörpern.
Wir glauben, dass Geschichte keinen notwendigen Gesetzmäßigkeiten folgt. Sondern wir gehen von vielen Geschichten aus, die verschiedene Gruppen parallel erleben. Sie sind dabei der geschichtlichen Entwicklung nicht einfach ausgeliefert, sondern können diese aktiv mitgestalten.
Wir wollen mit allen Gruppen und Einzelpersonen zusammenarbeiten, welche uns auf Augenhöhe begegnen und unsere Grundwerte teilen. Um dies zu ermöglichen, gilt es auch unser eigenes Lager besser zu organisieren und ein gemeinsames Bewusstsein unserer Geschichten, Positionen und Perspektiven zu entwickeln – und diese besser zu vermitteln.
Deswegen muss uns das Agieren bestimmter marxistisch-leninistischer Gruppen auch selbst eine Warnung sein. Es gilt Strömungen, Gruppen und Personen, die anders sind als wir und die andere Ansichten haben, zu respektieren. Denn Bündnisse auf Augenhöhe, echte Zusammenschlüsse – denen Gruppen nicht lediglich ihre Labels aufdrücken, sondern sich in gemeinsamen Prozessen miteinander befinden – werden nur durch die Anerkennung der jeweiligen Unterschiede möglich, nicht jedoch beim Hinterherlaufen (oder Getrieben-werden) durch eine selbsterklärte Avantgarde.
Trotz unserer Kritik weisen wir auf den antiautoritären Block auf der Demo hin. Selbstverständlich braucht es ein gemeinsames Handeln verschiedener Strömungen auch in Hinblick auf die Herrschaftsverhältnisse des Kapitalismus und des Staates, welcher untrennbar miteinander verknüpft sind. Dahingehend haben Anarchist*innen einiges beizutragen. Dies wollen wir auch deutlich machen, um mit der völlig beliebigen Bezeichnung „antiautoritär“ aufzuräumen.
Doch es ist leicht, sich raus zu halten und sich ja nicht die Finger schmutzig zu machen. Es ist auch klar, dass Demonstrationen nicht die Welt verändern und das sie nur so sinnvoll und gut sind, wie sie aktiv gestaltet werden. Wir wünschen uns, dass Anarchist*innen trotz Widersprüchen, unabgeschlossenen Diskussionsprozessen und unterschiedlichen Sichtweisen, auf die Straße gehen, um sich mit ihren Positionen einzumischen. Aus diesem Grund werden wir uns dem antiautoritären Block anschließen.
Das Prekariat bracht keine Hierarchie! Kein Kommunismus ohne Anarchie!